Dietges 2004

Am Samstag um 6.30 Uhr ging es los: Mit dem Auto zum Bahnhof Ludwigshafen, von dort kurz nach 7 Uhr mit einem Regionalzug nach Mannheim, nach einer halben Stunde in der Lounge mit der aktuellen Tageszeitung und einem heißen Kakao (ein Jahres-Abo der Bahn hat so seine Vorteile) gings mit dem ICE weiter: über Frankfurt nach Fulda. Dort in einen Triebwagen, der nach diversen Stopps an praktisch jeder Milchkanne um 10 Uhr in Gersfeld eintrudelte. Dort wartete schon Joachim auf mich. Der Abholdienst klappt jedes Jahr ausgezeichnet. Ich bin Joachim und Peter, der auch schon Taxichauffeur gespielt hat - für diesen alljährlichen Sondereinsatz sehr dankbar.

In Dietges angekommen und die Tür geöffnet: Alles wie im letzten Jahr und im Jahr davor und im Jahr vor dem Jahr davor ,, ...
Der große Aufenhaltsraum der Jugendherberge war wie üblich mit Elektronik vollgestopft. Auf den Tischen entlang der Fenster reihte sich Rechner an Rechner (die meisten davon aus der Sinclair-Familie, aber auch ein paar Laptops waren darunter - solange darauf Emulationen von Sinclair-Rechnem laufen, habe ich nichts dagegen einzuwenden). Davor die stolzen Besitzer und diverse Kiebitze - meist in hard- oder softwarelastige Diskussionen vertieft, An der Wand zur Küche hatte Peter auf zwei Tischen seinen Flohmarkt aufgebaut. Später sollte ein Original-ZXMetallpapierdrucker nebst 5 Papierrollen für schlappe 5 Euro in meinen Besitz übergehen. Da lacht das Schwabenherz.
Peter hatte mir netterweise in Türnähe ein Plätzchen freigehalten, in der gutgemeinten Absicht, die Entfernung zur Telefonsteckdose zu minimieren - aber da hatte ich eine trendgemäße Alternative geplant. Jeder Wichtigtuer redet zur Zeit von "wireless LANs" und da der Zeddy wichtig ist, reden wir nicht drüber - wir machens einfach.
Nach der Begrüßung begann das Auspacken und Zusammenstöpseln meiner mitgebrachten Schätze. Ich wollte traditionell eine Verbindung zu unserer ZX-Mailbox aufbauen und "Noch-nicht-Mailboxern" die einfache Bedienung der Box demonstrieren. Nach dem probeweisen Bestromen des Zeddys nebst aufgestecktem 64K-Memopak die erste Überraschung: das K war verdächtig flott auf dem Bildschirm und eine schnelle Kontrolle von RAMTOP erhärtete den Verdacht: der Zeddy erkannte den Huckepack-Speicher nicht. Abstecken, an den Kontakten rubbeln, wieder aufstecken - kein Erfolg. Evl Kondenswasserbildung (draußen recht kühl, in der JuHe mollig warm) ?
Eine gute Stunde bei Jens und Uli deren mitgebrachte Sachen bewundert und bei Uli seinen aufgebauten Prüfstand für Elektroflugmotoren bzw deren Luftschrauben und den Mondrian-Plotter zeigen lassen (wer die Präzisions-Hardware von Uli mal gesehen hat, den wird's nicht wundern, daß ich da eine ganze Weile kleben blieb). Danach den störrischen Zeddy nochmals eingeschaltet - wieder nix. Zum Kuckuck nochmal! Mit dem dringenden Wunsch nach einer Störungsbeseitigungsidee den RAM nochmals abgesteckt und - was seh ich da: das Codierplättchen im Platinenstecker fehlt. Ich erinnere mich an eine etwas forsch genommene Straßenkurve auf dem Weg zum Ludwigshafener Bahnhof. Da kippte meine Tasche und damit auch der Zeddy auf die Seite. Dabei muß sich der RAM ein paar zehntel Millimeter seitlich verschoben haben. Den RAM nochmals genau eingepeilt, angesteckt und nochmals eingeschaltet: heureka, das K braucht zwei Sekunden - der Zeddy hatte den Speicher erkannt. Der restliche Aufbau von Floppy, PIO und Datensender (ein Siemens M 101) war kein Problem. Dann in Ulis Zimmer den Datenempfänger und das Modern an die Telefonsteckdose angeschlossen. Zurück zum Zeddy, die Mailbox-Software geladen und die Mailbox angewählt. Nach ein paar Sekunden waren wir in Dietges drahtlos online.
Daß der Telefonzähler im falschen Loch der TAE-NFN-Dose steckte und daher vom Modem mitsamt Telefon kurzerhand abgeschaltet wurde, merkte Peter dann am Abend, als der Zähler nach ausgiebigem Surfen in der Box gerade mal zwei müde Einheiten anzeigte.

Jens hatte das ganze Treiben mit Argusaugen beobachtet - hatte er doch seit Monaten mit Zähigkeit versucht, die Box zu erreichen. Sein Handicap: die Software ist auf 3,5" Standard-Diskettenlaufwerke zugeschnitten und Jens betreibt eine 5 1/4"- C64-Floppy. Da paßt natürlich keine Nachladeroutine. Kai, der ständig ob seiner Laptop-Zeddys belagert wurde, mußte her. In Höchstgeschwindigkeit hatte er mit zwei Laufwerken bewaffnet (von jeder Sorte eines) die Boxprogramme kopiert und machte sich nun daran, sämtliche Nachladeroutinen umzuschreiben - und davon gibt's im quervemetzten System der Boxprogramme einige.

Inzwischen war es so gegen halb eins und aus der Küche duftete es verführerisch. Peter rührte in einem großen Aluminiumtopf eine blubbernde Flüssigkeit und gab auf Nachfrage bereitwillig Auskunft. Es handelte sich um eine Suppe nach altem Rezept der Familie Liebert-Adelt - offenbar von Generation zu Generation weitergereicht, Ich habe nicht alles in Erinnerung behalten, aber Tomaten, Mais und Hackfleisch sind wichtige Zutaten. Der Backofen sollte eigentlich auch in Betrieb sein, aber der war unseren Haus und Hofelektrikern am Morgen unter den Händen weggestorben - die kriegen offenbar nicht nur Computer klein. Na, die Suppe war so traumhaft - ich habe davon drei gut gefüllte Teller verdrückt (die geräuschvolle Quittung bekam ich dann am nächsten Tag).. Üblicherweise kommt ja erst das Fressen und dann erst die Moral (stammt von Bert Brecht - glaube ich). In Dietges ist das anders. Mehr als drei oder höchstens vier Personen sitzen da um die Mitttagszeit nie gleichzeitig beim Essen zusammen. Meist steht der Teller mit der Suppe, dem Kartoffelsalat und / oder der Bockwurst direkt neben dem Rechner.

Ich war gerade mit meinem zweiten Suppen-Nachschlag fertig, da kündigte Peter eine Vorführung von Jens an, Dieser hatte in der Zwischenzeit ein schwarzes Kästchen an seinen Zeddy angeschlossen und nachdem sich die Interessenten im Halbkreis versammelt hatten, entlockte Jens mit der zur Klaviatur mutierten Zeddytastatur dem Kästchen die unterschiedlichsten Töne - bis hin zum täuschend gut nachgebildeten Hammondorgelklang. In dem unscheinbaren Kästchen steckte offensichtlich ein recht leistungsfähiger Klangprozessor mit diversen programmierbaren Filtern nebst Verstärkerstufe. Jens zweite große Leidenschaft brach da voll durch - die Musik. Elektronik und Musik ist eine extrem seiten ausgeübte Kombination. In der Regel prallen da zwei Weiten aufeinander. Der Klinkenstecker wurde ja nur deshalb erfunden, weil Musiker mit mehr als einem Stecker pro Kabelende bereits hoffnungslos überfordert sind. Im Gegenzug ist ein Pizzicato für den Elektroniker nur sequentielte, exponentiell abklingende Signalbursts, die umgehend mittels Fourrieranalyse in ihre Grund- und Oberschwingungen zerlegt werden müssen.

Nach dem unverhofften Ausflug in das Reich der modulierten Longitudinalschwingungen war auch Kai so weit und Jens wollte - wieder ganz Elektroniker - mit Feuereifer loslegen. Dazu meinen Datensender, der ja seine Funktionstüchtigkeit bereits bewiesen hatte, an seine PIO angesteckt (getreu dem guten Brauch, bei jedem Versuch nie mehr als eine unbekanne Größe zu haben), Dazwischen noch den Doppelstecker mit den V24-nachTTL-Pegetwandlern, die getunte Software auf der 5 1/4"- Schlappscheibe in die Floppy und - nix ging. Der Datensender machte keinen Muckser. Kai beäugte den Zwischenstecker kritisch und stellte fest, daß die beiden Sub-D-Stecker keine Masseverbindung hatten. Jens verteidigte das Fehlen mit dem Hinweis, daß im Schaltplan zwischen den betreffendenn Pins keine Verbindung eingezeichnet sei. Recht hat er, denn aus lauter Faulheit habe ich den Schaltplan so gezeichnet, daß an den Pins der beiden Stecker nur ein Massesymbol zu sehen ist. Kais trockener Kommentar: die Verbindung ist tatsächlich nicht notwendig, du braucht nur neben dem Zeddy einen Staberder in den Boden zu rammen. Jens war dann aber doch der Ansicht, daß ein Stück Draht wohl die elegantere Lösung sei und durch den Einsatz eines Lötkolbens wurde ein großes Loch im Fußboden der Jugendherberge verhindert. Nächster Anlauf: etwas vorsichtiger geworden wurde das Modem (das ja in einem anderen Raum stand und daher weder direkt abgehört noch beobachtet werden konnte) mit ein paar ATBefehlen gekitzelt. Zum ungläubigen Staunen alter Beteiligten antwortete das Modem jedesmal brav mit einem OK. Wenn man bedenkt, daß sich die Anlage von Jens über etwa einen Quadratmeter Tischfläche verteilt hat, wird die Überraschung vielleicht verständlich. Jetzt kam der große Moment: die Boxsoftware wurde geladen und die Mailbox angewählt. Die Box antwortete und Jens holte sich stolz seinen ersten Katalog aus der Box, Dann wurde mutig mein Modem durch das von Jens ersetzt. Nichts ging mehr mit der Box. Dieter und Joachim bezogen in Ulis Zimmer Stellung und beobachteten das Modem, während Jens eine neue Boxverbindung versuchte. Die beiden berichteten dann, daß das Modem keinerlei Aktivitäten erkennen ließ und so packte Jens eben mein Modern mit ein. Inzwischen arbeitet er mit der Box, wie wenn er seit Jahren nichts anderes gemacht hätte.

Die Zeit, zu der ich hätte aufbrechen müssen, um über Gersfeld wieder nach Fulda zu kommen, war längst verstrichen und so bot sich Joachim nach eiligem Zusammenpacken an, mich direkt nach Fulda zu fahren. Es gab zwar noch Hektik, da die Ausfahrt zugeparkt war und die Besitzer der Gefährte erst herauskomplimentiert werden mußten, aber nach wildem Rangieren, dank den Rückwärtsfahrkünsten von Joachim und dank der präzisen Wegbeschreibung von Peter ( am Fahrradgeschäft rechts abbiegen ) konnte ich den geplanten Zug nach Mannheim dann doch noch ohne Hektik erreichen. Um 23.30 Uhr war ich dann müde aber ungeheuer zufrieden wieder daheim.

Dietges 2005 - bereits fest eingeplant.
Gernot